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Die III. Konferenz "Der Hauptfeind steht im eigenen Land" - Schwerpunkt "'Heim ins Reich'? - Deutsche Volksgruppenpolitik" wurde von www.secarts.org veranstaltet und fand vom 02. bis zum 05. Juni 2011 in Göttingen statt.
Dieser Text wurde als Referat auf der III. Konferenz gehalten. Weitere Referate der III. Konferenz werden im Laufe der Zeit verschriftlicht sowie als Audiodateien zum Download bereitgestellt.


Diesen Vortrag hielt ich am 4.6.2011 in Göttingen.
Erlaubt mir, eingangs ein paar Sätze zur Struktur meines Referats zu verlieren. Der Vortrag ist in zwei Themenbereiche gegliedert, einen ökonomischen und anschließend einen geopolitischen. Zunächst werde ich die sozioökonomische Stellung Osteuropas etwas genauer darlegen, wie auch die Zurichtung dieser Region zur Peripherie des westeuropäischen Zentrums schildern. Hier soll dann auch die dominante Stellung deutschen Kapitals innerhalb der Volkswirtschaften Osteuropas dargelegt werden. Im anschließenden zweiten Teil meines Referats werde ich mich mit den geopolitischen Konstellationen in der Region befassen. Zunächst soll die geopolitische Ausrichtung der östlichen Peripherie der EU dargelegt werden. Schließlich sollen auch die wichtigsten Konfliktfelder in der Region benannt werden.


Zurichtung Peripherie

Kommen wir nun zum ersten Teil meiner Ausführungen. Vielleicht sollten wir eingangs noch eine kurze geographische Bestimmung des Gebiets durchführen, dass Thema dieses Referats ist. Wenn ich von Mittelosteuropa spreche, dann meine ich damit die Länder, die in zwei Erweiterungsschüben der Europäischen Union in 2004 und 2007 beitreten konnten. Dieses „Zwischeneuropa“ Erstreckt sich vom Baltikum bis zum schwarzen Meer, es trennt die europäischen Hegemonialmacht Deutschland von der russischen Einflusssphäre, die ja im Westen Belarus und die Ukraine umfasst. Diese Definition von Mittelosteuropa umfasst also die baltischen Staaten, Polen, Tschechien, die Slowakei, Ungarn, Rumänien, Bulgarien und Slowenien.
Es ist innerhalb der westeuropäischen Linken wohlbekannt, dass dieses Mittelosteuropa nach dem Zusammenbruch des Staatssozialismus zu einer Peripherie des westeuropäischen Zentrums zugerichtet wurde. Hierunter ist in einem umfassenden Sinne die Umformung dieser osteuropäischen Ökonomien entlang der Verwertungsinteressen westeuropäischen Kapitals zu verstehen. Bevor diese ehemals staatssozialistischen Volkswirtschaften der Europäischen Union als scheinbar gleichberechtigte Mitglieder beitreten konnten, wurden sie jeglicher eigenständiger ökonomischer Potenzen beraubt. Dies geschah vermittels einer Enteignung dieser Volkswirtschaften, die zumeist unter dem Stichwort der Schocktherapie zusammengefasst wird.
Während der Systemtransformation fand eine Deindustrialisierungs- und Enteignungswelle der gesamten industriellen Basis dieser Länder statt. Diese zerstörerische Dynamik wurde durch eine schockartige Öffnung der osteuropäischen Binnenmärkte erreicht. Hierdurch konnten die maroden osteuropäschen Unternehmen binnen kürzester Zeit niederkonkurriert werden. Die interessantesten Filetstücke aus der Konkursmasse des Staatssozialismus wurden hingegen vom westlichem Kapital übernommen. Als Beispiele seien hier die tschechischen Skoda-Werke, der polnische Süßwarenhersteller Wedel oder der rumänische Fahrzeughersteller Dacia genannt.
Im Endeffekt wurden nahezu alle osteuropäischen Volkswirtschaften eines eigenständigen ökonomischen Rückgrats – also eines im heimischen Besitz befindlichen Industriesektors – beraubt. Fast alle wichtigen Unternehmen in nahezu allen osteuropäischen Staaten befinden sich im Besitz westlicher Industriekonzerne. Es fand also de facto eine Deindustrialisierung dieser Region statt, die mit dem Verlust jeglicher autarken technologischen Forschungs- und Entwicklungskapazitäten einherging.

Stattdessen konnten europäische Konzerne die gesamte Region sukzessive zu einer „verlängerten Werkbank“ umformen. Weite Teile Osteuropas verkamen zu einem Billiglohnstandort. Einerseits konnte also westliches Kapital Osteuropa als Absatzmarkt gewinnen, indem die heimische Konkurrenz noch in der Transformationsphase vernichtet werden konnte, andererseits fungierte die Region als Investitionsstandort, bei dem die besten Betriebe übernommen und arbeitsintensive Produktionsschritte ausgelagert werden konnten.
Die enormen sozialen Verwerfungen, die diese Transformationsprogramme mit sich brachte, bildeten einen integralen und beabsichtigten Teil der Zurichtung Osteuropas zur Peripherie. Erst mit zunehmender Verelendung und Massenarbeitslosigkeit konnte diese Region zu einem Billiglohnstandort westlicher Konzerne degradiert werden. Zudem strahlen die Hungerlöhne in Osteuropa auch auf den Westen aus, was ja zu der massiven Senkung des Lohnniveaus insbesondere in Deutschland beigetragen haben dürfte. (Stichwort: Debatte um Arbeitsplatzverlagerung)

Merkwürdigerweise konnte Osteuropa bis zum Ausbruch der Weltwirtschaftskrise eine immer wichtigere Rolle als Absatzmarkt spielen – vor allem für die exportfixierte deutsche Industrie. Dies muss auf den ersten Blick angesichts der beschriebenen Entwicklung verwundern. Wie konnte eine Region, die zumeist als Billiglohnstandort westlichen Kapitals fungiert, zu einem solch wichtigen Absatzmarkt avancieren?
Die Lösung dieses Rätsels liegt im Finanzsektor der osteuropäischen Staaten, der ebenfalls nahezu geschlossen vom westlichen Finanzkapital übernommen wurde. Mit der Zeit gingen die westeuropäischen Finanzhäuser zu einer immer lockereren Kreditvergabepraxis über. Die Konsumenten und Häuslebauer in Osteuropa kamen so immer leichter an Kredite und Hypotheken - dieses Geld floss dann in den Konsum und den Bausektor. Es bildete sich in Osteuropa eine klassische Defizitkonjunktur heraus, bei der das Anhäufen von Defiziten (Krediten oder Hypotheken für Konsum oder Häuserbau) konjunkturbelebend wirkt, da hierdurch ja tatsächlich schuldenfinanzierte Nachfrage geschaffen wurde. Dieses ökonomische Perpetuum mobile bewirkte wahre Wunder: Bis zum Zusammenbruch dieser Defizitkonjunktur konnten Lohnabhängige, die von westlichen Industriekonzernen mit Hungerlöhnen abgespeist wurden, dank der Kredite westlicher Finanzkonzerne ein beachtliches Konsumniveau halten.
Dieser schuldenfinanzierte Turmbau zu Babel erreichte enorme Dimensionen: Die EU-Geldhäuser haben sich mit insgesamt 1500 Milliarden US-Dollar (ca. 1150 Milliarden Euro) zwischen Baltikum und Schwarzmeer engagiert. Stark exponiert sind Finanzinstitute aus Italien, Frankreich, Schweden, Deutschland und insbesondere Österreich. Letztere haben in Osteuropa beispielsweise Kredite in Höhe von 224 Milliarden Euro vergeben, was in etwa drei Vierteln der jährlichen Wirtschaftsleistung Österreichs entspricht.

In der osteuropäischen Peripherie der EU etablierte sich schließlich mit dieser Defizitkonjunktur auch ein Defizitkreislauf. Bei diesem Defizitkreislauf wurde die vom westlichen Finanzkapital per Kreditvergabe generierte Kaufkraft, wiederum vom westlichen Handelskapital abgeschöpft. Denn selbstverständlich ist der osteuropäische Groß- und Einzelhandel längst von westeuropäischen Konzernen – von Lidl, Tesco, der Metrogruppe oder Plus – beherrscht. Somit fließt das von westlichen Großbanken geliehene Geld wieder in den Westen. In Osteuropa verblieben natürlich die Kredite mit variablen Zinsen, die dekadenlang abgestottert werden müssen. Erst unter Berücksichtigung dieser „doppelten“ ökonomischen Marginalisierung Osteuropas – in dem warenproduzierenden Sektor wie in der Finanzsphäre – erschließt sich das ganze Ausmaß der peripheren Stellung dieser Region innerhalb der Europäischen Union.

Überblick ökonomische Durchdringung Osteuropa durch Deutschland

Die Exportindustrie der BRD kann getost als der Hauptprofiteur der Systemtransformation in Osteuropa, wie auch der anschließenden Osterweiterung der EU bezeichnet werden. Deutsche Konzerne konnten in vielen Branchen zwischen Baltikum und Schwarzem Meer eine dominante Stellung erringen und die Region zu einer “Verlängerten Werkbank” des deutschen Automobil- wie Maschinenbaus zurichten. Deutsches Kapital bis Ende 2008 rund 77 Milliarden Euro in den zehn osteuropäischen EU-Mitgliedsstaaten investiert. Über 10 000 Unternehmen mit deutscher Beteiligung gibt es bereits in diesen Ländern. Damit entfallen auf diese bereits über acht Prozent des gesamten Bestandes deutscher Direktinvestitionen im Ausland. Rechnet man auch den West-Balkan und die ehemaligen Sowjetunion hinzu, so ergibt sich für Osteuropa ein deutscher Direktinvestitionsbestand von mehr als 102 Milliarden Euro. Das entspricht einem Anteil von elf Prozent. Damit erreicht die Region immerhin fast die Hälfte des deutschen Investitionsanteils in den USA (22 Prozent). Die deutschen Direktinvestitionen in Osteuropa übersteigen auch die Summe aller deutschen Investitionen in Asien, Zentral- und Südamerika zusammen (10,5 Prozent). Chinas Anteil betrug beispielsweise Ende 2008 gerade einmal zwei Prozent.
Die deutschen Exporte nach Osteuropa siegen von 5,1 Prozent aller Ausfuhren in 1990 auf 12,4 Prozent in 2008. Diese Region nahm somit mehr deutscher Waren auf als die USA (7,2 Prozent), Russland (4,5 Prozent) oder China (3,4 Prozent). Die Leistungsbilanzdefizite der besagten osteuropäischen Defizitkonjunkturen bestanden zum guten Teil aus Handelsdefiziten, die wiederum zumeist auf die deutschen Exportoffensiven zurückzuführen sind. Die deutschen Exporte nach Lettland waren beispielsweise in 2007 etwa vier Mal so hoch wie die lettischen Einfuhren in die BRD. Ähnliche Ungleichgewichte weist die deutsch-estnische Handelsbilanz für 2007 auf. Die deutsche Exportindustrie konnte 2007 auch gegenüber Rumänien und Bulgarien enorme Handelsüberschüsse erwirtschaften, die sich auf rund eine Milliarde Euro im Fall Bulgariens und 3,5 Milliarden bei Rumänien summierten.

Bereits seit 1996 ist Deutschland der wichtigste Handelspartner der Mittelosteuropäischen Staaten. Bei nahezu allen osteuropäischen neuen Mitgliedern der EU bildet Deutschland auch den wichtigsten Handelspartner – sowohl beim Import, wie beim Export. Die Zurichtung dieser Länder zur verlängerten Werkbank insbesondere deutschen Industriekapitals äußert sich auch in einem sehr hohen Außenhandelsanteil, der in Mittel und Osteuropa in 2009 bei 43 % der Wirtschaftsleistung lag. Zum Vergleich: der Außenhandelsanteil in der Eurozone im selben Jahr lag bei 26 % des BIP. Die Exportabhängigkeit ist vor allem in Ungarn, der Slowakei und Tschechien aufgrund der dominierenden westlichen Fahrzeugindustrie besonders stark ausgeprägt. Die Exporte erreichen in der Slowakei und Ungarn 66 % des Bruttoinlandsprodukts, in der tschechischen Republik sind es 60 %.

Es sind vor allem westeuropäische Konzerne, die einen Großteil der Exporte der meisten mittelosteuropäischen Länder abfertigen – die ohnehin zumeist nach Westeuropa fließen. Hieran lässt sich die periphere Stellung der Region als „verlängerte Werkbank“ westlichen Kapitals besonders gut ablesen. Der Anteil ausländischer Firmen an den Exporten mittelosteuropäischer Länder stieg über die Jahre beständig. 2006 machte er in Polen 60 Prozent, in Tschechien und der Slowakei 70 Prozent und in Ungarn gar 80 Prozent aller Ausfuhren aus. Ein Gutteil der Handelsgüter in dieser Region wird mittlerweile zwischen Mutter- und Tochterkonzernen großer ausländischer Unternehmen hin- und her geschoben.
Diese extreme Zurichtung der mittelosteuropäischen Volkswirtschaften zu reinen Produktionsstandorten westlichen Kapitals, führte auch zu einer strikten Zweiteilung ihrer Wirtschaftsstruktur. Zum einen existieren Umengen an unterkapitalisierten Kleinstbetrieben im einheimischen Besitz, die um ihr wirtschaftliches Überleben kämpfen. Andrerseits verbleibt die avancierte Exportindustrie fest in der Hand international agierender Konzerne. Hierbei kommt es kaum zu Verflechtungen zwischen diesen beiden ökonomischen Sphären. Ein Technologietransfer zum einheimischen Industriesektor – wie er beispielsweise in China initiiert wurde – findet nicht statt. Der Aufbau einer heimischen Exportindustrie nach chinesischem Vorbild konnte folglich nicht im nennenswerten Umfang realisiert werden.

In den meisten mittelosteuropäischen Ländern kann man auch nicht von einem unternehmerischen „Mittelstand“ sprechen, somit findet sich in diesen Ländern auch keine selbstbewusste heimische Bourgeoisie. In nahezu allen Ländern der östlichen Peripherie Europas befinden sich neben der Industrie auch der Einzelhandel und die Medienlandschaft unter fester Kontrolle westlicher – insbesondere deutscher – Konzerne. In Ungarn etwa sollen laut dem Finanzdienstleister Opten nur 14 Betriebe mit einem Jahresgewinn von mehr als 70 Millionen Euro (500 Millionen Forint) existieren, die sich ausschließlich im Besitz ungarischer Staatsbürger befinden. Zugleich konnte Ungarn ende 2010 milliardenschwere Investitionen deutscher Konzerne verbuchen.

Neben der ehemaligen Tschechoslowakei bildet tatsächlich Ungarn einen Schwerpunkt der Investitionstätigkeit des deutschen Fahrzeug- und Maschinenbaus. Ich möchte im folgenden diese ökonomische Durchdringung ganzer Regionen durch deutsches Kapital am Beispiel Ungarns etwas näher beleuchten. Dieses Engagement geht inzwischen sogar über das Konzept der „verlängerten Werkbank“ hinaus. In Ungarn schuften inzwischen 150.000 Menschen allein in den verlängerten Werkbänken deutscher Konzerne. Zudem konnten gerade aufgrund der globalen Krisendynamik neue Investitionen in Produktionsstandorte der Autoindustrie angelockt werden, die weit über bloße Montagetätigkeiten hinausgehen. Bereits im Herbst vergangenen Jahres kündigten mehrere Fahrzeughersteller an, ihre Produktionskapazitäten in Ungarn massiv auszubauen. So wird Opel an die 500 Millionen Euro in den Ausbau seines Motorenwerks in Südungarn Investieren. Daimler wiederum treibt den Aufbau einer gänzlich neuen Fabrik zur Herstellung der A-Klasse voran. Auch bei dem ungarischen Audi-Werk in Györ tritt neben der reinen Montagetätigkeit die Einführung komplexer Produktionsabläufe. Ich zitiere aus einem Handelsblatt-Artikel:
„Die Audi-Fabrik in Györ ist vor allem wichtig als Standort für die Motorenfertigung im gesamten VW-Konzern. Zusätzlich werden in Györ auch die Audi Modelle TT und das A3 Cabrio zusammengesetzt. Mit seinen 5 600 Beschäftigten ist Audi Hungaria im vergangenen Jahr auf einen Umsatz von knapp vier Mrd. Euro gekommen. Die Autos werden in Györ bislang aber nur montiert. Die Fahrzeugteile kommen aus den deutschen Audi-Werken fertig nach Ungarn. Die Fabrik wird jetzt zu einer kompletten Produktionsstätte aufgerüstet, in der die Autos nicht nur zusammengesetzt werden, sondern wo die Fahrzeuge den ganzen Fertigungsprozess von Grund auf durchlaufen. Dazu gehört etwa, dass Györ eine eigene Lackiererei bekommen wird.“ Zitat ende.

Diese tiefgreifende ökonomische Durchdringung erstreckt sich auch auf den Bildungssektor: Inzwischen gehen deutsche Konzerne dazu über, in enger Koordination mit den ungarischen Bildungseinrichtungen – hier vor allem mit den Hochschulen – ganze Forschungsabteilungen aufzubauen. Bosch stampfte bereits vor fünf Jahren in Budapest ein Forschungs- und Entwicklungszentrum aus dem Boden, in dem 500 Ingenieure Beschäftigung finden, und das seit Kurzem weiter ausgebaut wird. Der Bosch-Konzern initiierte auch eine enge Kooperation mit sechs ungarischen Fachhochschulen und Universitäten, in deren Rahmen etwa technische Wettbewerbe und Informationsveranstaltungen organisiert, wie auch Lehrplänne abgestimmt werden. Am so genannten „Bosch-Tag“ wirbt der Konzern offen an Ungarns Hochschulen für sich. Wie dominant der deutsche Fahrzeugbau in Mittelosteuropa inzwischen ist, lässt sich auch an der Liste der 10 größten Konzerne in Mittelosteuropa ersehen: Skoda-Auto kommt hier auf Platz drei, Volkswagen Slowakia auf Platz 6, Audi Ungarn auf Platz 7.

Wie erwähnt, ist auch der osteuropäische Einzelhandel fest in westeuropäischer und deutscher Hand. Hier nur kurz ein Beispiel: Mit einem Umsatz von knapp 3.5 Milliarden Euro bildet die Metro-Gruppe-Polska einen der führenden Einzelhandelskonzerne Polens. Somit ist der ehemalige SS-Mann Otto Beisheim, bekanntlich ehemaliges Mitglied der Leibstandarte Adolf Hitler, einer der größten privaten „Arbeitgeber“ Polens.

Medienbranche

Etwas genauer möchte ich aber auf die deutsche Dominanz innerhalb des osteuropäischen Mediensektors eingehen, da hier auch weitreichende politische Implikationen zu berücksichtigen sind. polnische Bild-Zeitung heißt Fakt. Das Blatt ist mit einer Auflage von etwa 500000 Exemplaren (Stand: April 2005) Marktführer und gehört selbstverständlich dem Axel-Springer-Verlag. Seine Machart und die Inhalte gleichen dem großen deutschen Vorbild. Fakt ist das Flaggschiff des größten deutschen Zeitungskonzerns in Polen.

Aber die Polen werden nicht nur mit dem Bild-Verschnitt Fakt beglückt. Springer wirft hier Ableger fast seiner gesamten deutschen Titel auf den Markt: Neben dem Wochenmaganzin Newsweek Polska sind das sechs Frauenblätter, zwei Jugendmagazine (darunter Popcorn), drei Auto- und acht Computerzeitschriften sowie das Wirtschaftsmagazin Profit. Der deutsche Großverlag konzentriert sich dabei auf überregionale Publikationen.
Eine ganz andere Strategie verfolgt der mittelständische Verlag Passauer Neue Presse (PNP). Die Bayern haben sich vor allem auf den Erwerb von Regionalzeitungen spezialisiert. So besitzt PNP inzwischen eine Monopolstellung auf den regionalen Zeitungsmärkten in Wroclaw, Poznan, Gdansk, Lodz, Katowice und Krakow. Nach der Übernahme der Tageszeitung Gazeta Olsztynska ging PNP daran, im gesamten Nordosten Polens den Zeitungsmarkt dominieren. Über eine Zweigfirma, die Werbeagentur »Media Tak«, konnte auch das Anzeigengeschäft in der Region Masuren weitgehend unter die Kontrolle der PNP gebracht werden. Zur Erinnerung: Masuren wird von deutschen Revanchisten immer noch als Ostpreußen bezeichnet.

Über eine starke Präsenz auf dem polnischen Pressemarkt verfügen auch der Bauer-Verlag mit 30 Titeln, das mehrheitlich zu Bertelsmann gehörende Hamburger Verlagshaus Gruner+ Jahr (zehn Publikationen) und der Münchner Burda-Konzern, der sechs Spartenmagazine publiziert. Begünstigt wurde die schnelle Eroberung des polnischen und des gesamten osteuropäischen Marktes durch die Fähigkeit der kapitalstarken deutschen Konzerne, über längere Zeiträume auch mit Verlusten zu operieren – bis ein Großteil der Konkurrenz vom Markt verschwunden war. Daneben betreiben die Ableger deutscher Medienkonzerne meist eigene Druckereien und Werbeagenturen, die ebenfalls einen kostengünstige, weil unabhängige Produktion gewährleisten.
Inzwischen ist längst der osteuropäische Medienmarkt fest in ausländischer Hand. Das polnische Nachrichtenmagazin Wprost gibt an, daß dieser zu 85 Prozent vom westlichen Kapital kontrolliert wird. Drei Viertel davon würden auf deutsche Konzerne entfallen. Polen, Tschechien und Ungarn gelten als die Länder, in denen westeuropäische Medienkonzerne die größte Marktdomminanz aufbauen konnten. Diese Konzerne sollen einen Anteil von 80 Prozent am gesamten Pressemarkt dieser drei Länder haben.
In Tschechien kontrollieren deutsche Verlage – insbesondere die umtriebige PNP – 82 Prozent der Regionalzeitungen. In Ungarn sind es 75 Prozent des gesamten Pressemarktes, und selbst in der kleinen Solwakei geben deutsche Medienkonzere an die 30 Titel heraus. Der Medienwissenschaftler Horst Röper faßte die Strategie des deutschen Medienkapitals folgendermaßen zusammen: »Ziel ist die Marktdominanz.« Die Größe der nationalen Märkte – wie beispielsweise in Slowenien oder Slowakei – spiele dabei eine untergeordnete Rolle. Wichtig seien aus der Sicht der Investoren die »Anbieterpositionen«, die Martkanteile. »Dieses Ziel haben deutsche Konzerne in den Teilmärkten vielfach erreicht«.

Das Engagement deutscher und westlicher Medienkonzerne in Osteuropa hat auch einen politischen Aspekt. Inzwischen mehren sich die Hinweise auf eine Beeinflussung der öffentlichen Meinung. Wie Wprost berichtet, sollen die in Tschechien erscheinenden und im deutschen Besitz befindlichen Zeitungen Mlada Fronta Dnes und Lidova Novina das angebliche Unrecht kritisiern, das den Sudetendeutschen widerfahren sein soll. Besonders negativ ist auch Springers polnisches Wochenblatt Newsweek Polska im März 2004 aufgefallen. Damals steuerten die deutsch-polnischen Spannungen um das in Berlin geplante »Zentrum gegen Vertreibungen« auf einen Höhepunkt zu. Am 29. März publizierte Newsweek einen antisemitischen Artikel, der eine Welle von Klagen jüdischer Alteigentümer auf Rückgabe ihres ehemaligen Eigentums in Polen halluzinierte. Dieser deutsche Export antisemitischer Ressentiments sollte offensichtlich den internationalen Ruf Polens in einer Zeit verstärkter Spannungen mit Deutschland beschädigen.


Dieses Referat wurde auf der III. Konferenz "Der Hauptfeind steht im eigenen LAnd", Göttingen 2011, gehalten.

Der zweite und letzte Teil des Referatstextes wird am Mittwoch, den 10. August auf www.secarts.org veröffentlicht.


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